Aktuell


20.05.2020

Auswahlermessen der Finanzbehörde bei Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Steuerpflichtigen oder an Bevollmächtigten ohne Empfangsvollmacht

Das Finanzamt ist in seinem Ermessen bei der Bekanntgabe von Steuerbescheiden nicht dahin beschränkt, dass Steuerbescheide nur der vom Steuerpflichtigen mit der Bearbeitung der Steuersache betrauten Rechtsanwaltskanzlei bekannt gegeben werden dürfen.

Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht wird nicht dadurch ersetzt, dass die Finanzbehörde zuvor in der Sache mit der Kanzlei schriftlich korrespondiert hat.

Sachverhalt:

Der Kläger war neben seiner Ehefrau Miterbe der 2013 verstorbenen Y, gegen die von der Steuerfahndung ermittelt wurde. Y hatte in der Schweiz Kapitalerträge von ca. 2,8 Millionen Euroerzielt, aber den deutschen Finanzbehörden nicht erklärt. Der Kläger beauftragte im Dezember 2013 die Kanzlei G mit der Bearbeitung seiner Steuerangelegenheiten. Die Kanzlei G reichte im November 2014 geänderte Einkommensteuererklärungen der Jahre 2000 bis 2013 für Y ein, die zu geänderten Einkommensteuerbescheiden mit Steuernachzahlungen in einer Gesamthöhe von ca. 1,2 Millionen Euro führten. In der von der Kanzlei G erstellten Erbschaftssteuererklärung des Klägers waren die Steuernachzahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten enthalten. Die Erbschaftsteuererklärung enthielt keine Eintragungen in den Feldern Bekanntgabe. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 setzte das Finanzamt (FA) bei einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 1.337.000 Euro die Erbschaftsteuer auf 401.100 Euro fest. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig "bezüglich noch anzusetzender Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung" und wurde dem Kläger persönlich bekanntgegeben. Das FA änderte am 10. Juni 2015 den Erbschaftsteuerbescheid vom 11. Dezember 2014 wegen zuvor mit der Kanzlei besprochener Umstände. Das FA erklärte den Bescheid nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt "Erläuterungen" genannten Punkte für endgültig. Die Erläuterungen des Bescheides lauten: 2Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 11.12.2014. Der Bescheid entspricht der Erörterung mit ihrem steuerlichen Berater. Auf die Anlage zu diesem Bescheid wird hingewiesen...". Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid wurde wieder dem Kläger persönlich bekanntgegeben. Hiergegen ließ der Kläger am 4. Juli 2016 mit dem Ziel Einspruch einlegen, die Einkommensteuernachforderungen als Nachlassverbindlichkeiten bei der Erbschaftsteuer abzuziehen. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Aus den Gründen:

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Soweit die Vorläufigkeit des Erbschaftsteuerbescheides vom 11. Dezember 2014 im Änderungsbescheid vom 10. Juni 2015 aufgehoben wurde, sei die Entscheidung bestandskräftig. Der Einspruch vom 4. Juli 2016 sei verspätet. Die Einkommensteuerschulden der Erblasserin aus der Nachversteuerung bislang nicht erklärter Einkünfte könnten nicht mehr als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.

Wirksame Bekanntgabe der Erbschaftsteuerbescheide an den Kläger

Die Erbschaftsteuerbescheide seien dem Kläger wirksam bekanntgegeben worden. Die Voraussetzungen für eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten nach § 122 Abs. 1 Satz 4 AO lägen nicht vor. In den Akten des FA befinde sich keine schriftliche oder nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht zugunsten der Kanzlei G. Die Beweisaufnahme habe dem Senat nicht die Überzeugung vermittelt, dass dem FA bis zum Zeitpunkt des Ergehens der Erbschaftsteuerbescheide eine solche vorgelegt wurde, aber inzwischen verloren gegangen sei.

Bevollmächtigung zur Bearbeitung von Steuerangelegenheiten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht

Das FA sei in seinem Auswahlermessen in Bezug auf den Bekanntgabeadressaten aus § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch nicht dahin beschränkt, dass die Erbschaftsteuerbescheide nur der vom Kläger mit der Bearbeitung der Steuersache betrauten Kanzlei G bekannt gegeben werden durften. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht werde nicht dadurch ersetzt, dass das FA zuvor in der Sache mit der Kanzlei G schriftlich korrespondiert habe. Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht. In der höchstpersönlich unterschriebenen Erbschaftsteuererklärung sei ist in der "Anlage Erwerber" für den Kläger ebenso wie in der "Anlage Erwerber" für seine Ehefrau in den Feldern Bekanntgabe keine Empfangsvollmacht zugunsten der Kanzlei G eingetragen gewesen. Das FA hätte dies dahin verstehen dürfen, dass der Kläger und seine Ehefrau keine Empfangsvollmacht erteilen wollten.

Einspruch verspätet, keine Verlängerung der regulären Einspruchsfrist wegen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung

Der gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 10. Juni 2015 am 4. Juli 2016 eingelegte Einspruch sei außerhalb der regulären Einspruchsfrist eingelegt worden. Die am 15. Juli 2015 endende, reguläre Einspruchsfrist sei nicht nach § 356 Abs. 2 AO verlängert. Dem Erbschaftsteuerbescheid fehle es weder an einer Rechtsbehelfsbelehrung noch sei die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt.

Die Erläuterungen des Erbschaftsteuerbescheides vom 10. Juni 2015 enthielten keine irreführende, unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung. Der Senat folgte nicht der Auffassung des Klägers, das FA habe mit dem in den Erläuterungen gegebenen Hinweis "Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 11.12.2014. Der Bescheid entspricht der Erörterung mit ihrem steuerlichen Berater. ..." behauptet, mit der Kanzlei G sei auch besprochen worden, dass die Vorläufigkeit des Bescheides insoweit aufgehoben werde, als sie sämtliche Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung betreffen würde. Aus der Einkommensteuer resultierende Nachlassverbindlichkeiten seien aber mit dem steuerlichen Berater nicht erörtert worden.

Trennung von Rechtsbehelfsbelehrung und Bescheidbegründung

Die Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheides sei grundsätzlich von dessen Begründung zu trennen. Dieser Unterschied ist bereits gesetzestechnisch in der Abgabenordnung angelegt und aus den Normen der §§ 121, 126 AO auf der einen Seite und § 356 AO auf der anderen Seite ersichtlich. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die die (verfahrensrechtlichen) Rechtsschutzmöglichkeiten gegen einen Bescheid umfassend und klar darstellen soll, ist etwas anderes als die Begründung eines Verwaltungsaktes, die zu dessen materieller Erläuterung dienen soll. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen einer unterlassenen oder unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung (dazu § 356 Abs. 2 AO) von denen einer fehlenden Begründung (dazu § 126 Abs. 3 AO).

Die beanstandeten Erläuterungen des Erbschaftsteuerbescheides vom 10. Juni 2015 seien keine Rechtsbehelfsbelehrung, sondern eine materielle Begründung der Steuerfestsetzung. Die pauschale Umetikettierung von eindeutigen, materiellen Bescheiderläuterungen in eine Rechtsbehelfsbelehrung sei nicht möglich.

Keine Verlängerung der Einspruchsfrist wegen Begründungsmängeln

Die reguläre Einspruchsfrist sei auch nicht nach § 126 Abs. 3 AO verlängert worden. Dem Erbschaftsteuerbescheid vom 10.06.2015 mangele es nicht an der erforderlichen Begründung. Dem Kläger sei bewusst gewesen, dass er mit den bescheidvorbereitenden Arbeiten die Kanzlei G als steuerlichen Berater beauftragt hatte. Ebenso musste ihm bewusst sein, dass er etwaige Erbschaftsteuerbescheide von den Finanzbehörden erhalten würde. Die Erläuterung des FA gebe zutreffend wieder, dass die Änderung des Erbschaftsteuerbescheides vom 11. Dezember 2014 vom FA mit seinem steuerlichen Berater erörtert worden war. An dieser Tatsache ändere der Umstand nichts, dass sowohl das FA als auch der steuerliche Berater die Berücksichtigung der Nachlassverbindlichkeiten vergessen hätten. Das FA habe die Situation, wie sie ihm am 10. Juni 2015 bekannt gewesen sei, in der Erläuterung richtig wiedergegeben. Sein Fehler, der darin liege, dass es das Vorhandensein der Steuerschulden der Erblasserin übersehen habe, lasse sich nicht durch ein Überspannen der Begründungspflicht korrigieren. Durch den Hinweis des FA auf eine dem Kläger möglicherweise nicht bekannte Erörterung der Steuerangelegenheit mit dem steuerlichen Berater sei dieser in die Lage versetzt worden, sich beim Berater über den Inhalt der Erörterung zu informieren und dabei möglicherweise auf die versäumte Geltendmachung der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten zu stoßen.

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO in Bezug auf die versäumte Einspruchsfrist scheide aus, da den Kläger wegen der Säumnis ein Verschulden treffe. Die vom Kläger und seiner Frau unterschriebene Erbschaftsteuererklärung habe keine Eintragungen über einen Empfangsbevollmächtigten bezeichnet. Das FA habe daher davon ausgehen dürfen, dass die Steuerpflichtigen die Zusendung der Erbschaftsteuerbescheide an sich selbst wünschten. Wenn sie anschließend die Bescheide nicht oder nicht rechtzeitig zur Prüfung an die Kanzlei G sandten und dadurch Rechtsbehelfsfristen verstreichen ließen, hätten sie diesbezüglich schuldhaft gehandelt.

Keine Nichtigkeit des Erbschaftsteuerbescheids

Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid vom 10. Juni 2015 sei zwar fehlerhaft, weil er tatsächliche Einkommensteuernachzahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigte. Eine materielle Rechtswidrigkeit durch Nichterfassung einzelner Besteuerungsgrundlagen mache den Bescheid aber nicht nichtig.

(FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 06.05.2020 zu Urteil vom 06.11.2019 - 7 K 940/18; Az. der Revision beim BFH: II B 91/19)