Diplom-Finanzwirt, Steuerberater

Herbert Ludes

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Aktuell


19.10.2022

Unzulässige Umgehung der Rechtsprechung des BFH über die sachliche Unzuständigkeit für das Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen

Der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat mit Gerichtsbescheid entschieden, dass die Verwaltungsakte im Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen der sachlich unzuständigen Agentur für Arbeit Recklinghausen – Familienkasse Inkasso – auch dann rechtswidrig sind, wenn sie von dieser unter dem Briefkopf der zuständigen Familienkasse erlassen werden.

Hintergrund

Schon seit mehreren Jahren wird im Verfahren über die Erhebung von Kindergeld, also insbesondere bei Entscheidungen über dessen Stundung und Erlass, der zentral bei der Agentur für Arbeit Recklinghausen eingerichtete sog. Inkassoservice tätig. Der Bundesfinanzhof hat jedoch inzwischen in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung entschieden, dass diese Behörde mangels entsprechender gesetzlicher Regelung hierfür sachlich unzuständig ist (siehe z. B. BFH, Urteile vom 25. Februar 2021 – III R 36/19 und vom 7. April 2022 – III R 33/20). Dennoch scheint dieser „Inkassoservice“ – wie der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts jetzt herausgefunden hat – auch nach Ergehen dieser Entscheidungen weiterhin tätig zu werden. Allerdings nicht im eigenen Namen, sondern verdeckt unter dem Briefkopf der eigentlich zuständigen örtlichen Familienkasse. Dass diese Umgehung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rechtswidrig ist und eine – wie die beklagte Familienkasse vorträgt – lediglich „virtuelle“ Abordnung nicht den Zuständigkeitsanforderungen genügt, hat nun der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts entschieden.

Eine solche „virtuelle“ Abordnung von Bediensteten einer Behörde an die eigentlich gesamtzuständige örtliche Familienkasse ist nach Auffassung des 3. Senats unbeachtlich, da sie nicht die Maßstäbe einer rechtsstaatlichen Verwaltungsorganisation erfüllt. Das Demokratieprinzip erfordere eine klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten und verbiete das Tätigwerden einer anderen Behörde unter dem Briefkopf der materiell zuständigen Behörde. Nach Auffassung des Senats ist es trotz entsprechender technischer Möglichkeiten weiterhin erforderlich, dass die gesetzlich zuständige Behörde mit eigenem Personal tätig werde. Es bestehe, so der 3. Senat, im Rahmen des Verwaltungsrechts auch keine Befugnis einer Behörde, eine andere Behörde generell für ein Tätigkeitsfeld – wie etwa im Zivilrecht – „zu beauftragen“ und im Außenverhältnis für sie als „Vertreter“ tätig zu werden, da weder eine gesetzliche Vertretungsbefugnis vorhanden sei, noch eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis mangels gesetzlicher Grundlage verfassungsrechtlich legitimiert sei.

FG Niedersachsen, Mitteilung vom 23.09.2022 zum Gerichtsbescheid 3 K 113/22 vom 16.08.2022 (rkr)